Mit Birgit Kunz in Werder

ENTLANG DER DINGE – eine Beschreibung
ich bin da. sich verfahren, das kann dir zu Fuß nicht passieren. wenn man langsam genug geht, dann irrt man nicht. man geht einfach. man geht davon aus es gibt von Allem das Richtige, nicht nur von Wegen und deshalb muss man schnell gehen. eine geplante Reise ist wohl der größte Irrweg überhaupt.
Abfahrt, Ankunft, ein Ticket zurück. als ob man einfach wegfliegen könnte. fängt das Reisen immer auf der Terrasse an? ich throne und sehe die bunten Tupfen im Garten, die Reste einer Famile. Spuren. es gibt: Kinder, eine Gießkanne, Köngiskerzen, Grünteile, Palmen in Käsedosen aus Metall. / jemand raucht. es klebt / ein Pflaster am Liegestuhl. / WENN MAN HIER WOHNT, dann sitzt man abends immer auf der Terrasse. von oben leuchtet die nackte Birne und Mücken kleben am Bildschirm. ich bekomme Lust dem Glücksklee durch die Haare zu wuscheln und gegen die verdorrten Malvenstängel zu schlagen, um zu hören, ob ihre Samen von innen gegen die Schale schlagen. / ich ziehe die Schuhe aus und gehe ins Haus.
ERSTES ZIMMER. niemand ist da. / wenn man Besuch ist und niemand ist da, was tut man dann? / es gibt: einen Hund (abwesend), eine Couch, eine Ikeatüte, eine weitere Tür mit einer Frau, die Cello spielt. ein kleiner Servierwagen, auf dem Bücher liegen und eine Schachtel, auf der Kalender steht. ein Schreibtisch, auf dem sich Haarspray, Hustenbonbons und mehr stapeln. ein Bücherregal, das ganz voll ist und das sich biegen würde, wären die Bretter weniger dick. es gibt eine Kuckucksuhre, deren Zapfen aufgewickelt sind. Dinge in Wandkästen, kleine Museen, Schätze. ein Zettel, der besagt „Café Lomo und Telefonnummer“. in der Ecke steht schräg ein Stuhl, zu dem ein Ladekabel ohne was dran führt. an seinem linken Bein eine Fahrradtasche. / WOHER KOMMT DER GERUCH EINER WOHNUNG?
Dinge, die man in andere Dinge tut. / um die Ecke: zweites Zimmer / Kinderzimmer. Kinderkleiderhaufen, zwei Flugzeuge. man könnte / sich sehnen nach woanders, aber warum woanders. Sehnsucht zurück oder vor, das bleibt sich gleich. alles, was du kennst, die Dinge in den Kisten im Haus der Eltern, von einem Kind gesammelte Schätze. ich bekomme Sehnsuch nach den Dingen woanders. ein Konstrukt aus Holzlatten. hundert Zentimeter Turm und Meer im regal. die Wände des Zimmers sind ein Schrank. ich stehe auf, lasse die Dinge zurück. ZIMMER EINS. ich wische einen Wassertropfen zu Boden, der beim Trinken meine Flasche entlangrinnt. ich lasse den kleinen Tiger in einem der Körbe zurück. im FLUR gibt es eine Gaderobe, eine rote Lampe, eine Bilderwand, eine weitere rote Lampe. ich knie am Boden neben dem Telefon, dessen Kabel in einen KAsten führt. kein Kasten, eine Tür in eine andere Welt. / FOLGE DEM KANINCHEN.
es sollte nicht nur für Brüste, auch für andere Körperteile Halter geben. an der Wand hängt ein kleiner Basketballkorb. / KUCKEN / die ästhetische Auseinandersetzung bietet eine Mög- lichkeit den Krimskrams zu beobachten, nicht sofort zu reagieren. Körbe, Stapel, Turnschlappen. an der Wand hängt eine Eule, verschüchtert, verlegen nach links kuckend. Scham eine sekundäre Emotion. erlernt, abhängig vom imaginierten Blick der Anderen. / ich werfe einen kurzen Blick in die offenen Zimmer und gehe in die / KÜCHE, nehme Platz am Tisch und fühle mich zu Hause. Küchen- tische sind immer gleich. da hinten die roten Drahtkörbe, die auch zu Hause hängen. in ihnen Zwiebeln und Nüsse. die Kartoffeln liegen draußen. auf dem Tisch weitere Spuren. Seifenblasen, Essig und Öl. der Küchentisch ist ein Ort der Öffentlichkeit im Privaten. eine Zwie- bel, ein Stück Holz, ein halbleeres Blister mit grünen Tabletten. eine leere Packung Eis (Vanille), ein getöpfertes Gefäß mit Sonne, weiter Tabletten in einem Schälchen, Taschentücher. die Dinge erhalten ihre Menge für gewöhnlicherweise durch Verpackung.
ich wechsle den Stuhl, drehe mich zur Anrichte. alles rot hier. Topf- lappen und Schürzen, ein Geschirrtuch. übliche Küchendinge. Ge- würze in kleinen Gläsern, Pflanzen, eine Obstschale und Basilikum. man trinkt Caro Caffe und isst Kohlrabi . es hängt ein Besen an der Wand und ich denke, dass ein Besen was Schönes ist, zu kehren. eine gute Art sich dem Dreck zu widmen. auch hier wieder Bücher. „Backvergnügen neu“. das Buch, aus dem auch die Eltern backen oder zumindest gebacken haben. ich stehe auf und werfe einen Blick aus dem Fenster, bewundere die Kaktusfeigen und die goldenen Nüsse, die neben Zitronen in einer Schale liegen. frage mich, wie die schme- cken und wer die Tiere und die Muggelsteine in den Topf gestellt hat. beinahe greife ich aus Gewohnheit das Glas, das auf dem Tisch steht. „Mutterboden“, steht da.
ich gehe weiter. durch den Gang geradeaus. NÄCHSTES ZIMMER. „es ist normal verschieden zu sein“. KINDER- ZIMMER ZWEI. es gibt eine Musikbox auf einem rollbaren Brett, ein paar Noten auf dem Boden liegend, eine ummantelte Wasch- mitteltonne, Dokumentation von Siegen an der Wand. ein mit Schätzen beladener Sekretär, obenauf ein Pinselglas. an der Decke Sterne und Mond. es gibt immer nur einen Mond. auf dem Schrank sind drei Koffer.
nächstes ZIMMER: ELTERNSCHLAFZIMMER.
BADEZIMMER. ich mache die Türe auf, alles rosa. es riecht ganz sauber. man hat eine Zeitschrift abboniert. vier angefangene Klopapierrollen. auf der Spülung steht „nicht benutzen“. extra für mich? eine Spiegelschrank, darauf ist ein Massageding, Putzmitteln in Reihe. ein buntes Seepferchen und einen Fisch, die auf den Fliesen kleben. eine Schlange liegt auf einem Stapel Zeitschriften und lässte den Kopf hängen. die Seife liegt in einem goldenen muschelähnlichem Ding der Aufbewahrung.
zurück zu ZIMMER EINS. ich gehe nach draußen, ich ziehe meine Schuhe wieder an. Dinge, die man so tut, wenn man wo zu Besuch ist. ICH WAR ZU BESUCH UND NIEMAND WAR DA. / das Drinnen und Draußen anhand der Terrasse. / Vögel zwitschern. ein letzter Blick auf die Blumen. wie komme ich jetzt zum Atelier? ein schwarzes Tier schleicht vorbei, lässt sich nicht durch mein Locken beirren und verschwindet wieder.
der Blick einer Anderen.
Birgit Kunz, September 2020
Zimmerreise nach Werder (Havel)